Venanzio Morino                                                                               Schittenhelm beim Unterrichten, der Schüler spielt Morino-Knopfakkordeon

  

     Schittenhelm, Grock, Morino, Ernst Hohner                                          3 engste Mitarbeiter, Morino, Gola

  

Ein Knopfakkordeon von Morino, 1931, mit 6 Reihen Standartbass                 Eine "Morino V M" von 1967 mit extra-großen Kanzellen im                                                                                                                           Grundbass und zusätzlichen 2 Reihen Melodiebass

Alle Bilder sind  freundlicherweise vom Deutschen Harmonika Museum zur Verfügung gestellt. Der folgende Text entstammt der Sonderausstellung  "Morino und Gola - die Stradivaris unter den Akkordeons" des Deutschen Harmonika Museums in Trossingen  im Jahr 2002, Text von Frau Haik Wenzel. 

 

Venanzio Morino

 

kam am 11. Dezember 1876 in Bornasco (Piemont), einem abgelegenen ober- italienischen Gebirgsdorf zur Weit. Sein Vater war Schreiner und betrieb, um die 9 Kinder zu ernähren, nebenbei Landwirtschaft. Das Elternhaus ziert bis heute ein Fresko mit der Schwarzen Madonna von Oropa, um 1890 vom jungenVenanzio Morino gemalt.

Nach der Schreinerlehre ging er - wie viele aus dem Ort - als "Gastarbeiter" nach Genf. Dort arbeitete er als Bauschreiner. Ab ca. 1900 lebte er fest in Genf. Er heiratete eine Italienerin, 1906 wurde die Tochter Germaine und 1912 der Sohn Raymond geboren. Seine erste Frau starb bereits 1926.

Nebenbei übernahm Morino Akkordeonreparaturen, die so zahlreich waren, dass er sich selbständig machte und schließlich auch eigene Akkordeons produzierte. Das Geschäft ging gut, doch sollte es bitter enden: Sein Geschäftspartner, ein Kaufmann, wirtschaftete in die eigene Tasche. Eines Tages fuhr er in Morinos Abwesenheit mit dem Lastwagen vor, um Laden und Werkstatt auszuräumen. Als Morino am nächsten Morgen in die Werkstatt kam, hatte er nicht einmal mehr einen Hammer. Auf dem Flohmarkt erstand er das nötigste Werkzeug und versuchte einen Neuanfang.

In dieser verzweifelten Situation suchte ihn Ernst Hohner auf. Dieser hatte bei Francois Coderay, dem Hohner-Vertreter in Lausanne, von Morinos Schicksal - und seinem handwerklichen Können - gehört. Morino nahm Hohners Angebot an und siedelte 1928 nach Trossingen um.

Heinz Gengier berichtet, wie er 1928 als 14-Jähriger von Ernst Hohner die Firma gezeigt bekam: "Der Schwerpunkt lag damals noch ganz auf der Mundharmonika­ Produktion und erst am Ende gab es in einem Sonderraum einige Akkordeons zu besichtigen."

Durch den Einstieg Morinos wurde die Entwicklung beim Akkordeon entscheidend vorangetrieben. Zunächst war er freier Mitarbeiter, später leitete er eine eigene Abteilung.

Der verwitwete Morino kam zunächst mit seinen bei den Kindern nach Trossingen, die - inzwischen erwachsen - bald nach Genf zurückkehrten. Sein   Sohn Raymond (1916-93) war Akkordeonlehrer und betrieb eine eigene Musikschule in Genf. Er bezog mehrere Akkordeon-Sonderanfertigungen von seinem Vater.

1932 heiratete Morino in Trossingen Hella Göttling. 1935 wurde der Sohn Guido geboren, 1940 eine Tochter, die im Alter von 5 Monaten verstarb. Da Marinos Deutschkenntnisse nie sehr gut waren, wurde Französisch die Familiensprache. Laut Reisepass war Morino Italiener, aber sein Herz schlug in der französischen Schweiz.

Er las gern italienische Zeitungen und hörte französischsprachiges Radio, auch während des 2. Weltkriegs. Sein Vermieter, ein engagierter Nationalsozialist, tolerierte das, warnte ihn aber rechtzeitig, wenn er Besuch von Parteigenossen erwartete.

Wohnungen der Familie Morino in Trossingen:     Bismarckstr., Mozartstr. 7, Liststr. 21, Augustastr. 7, Eichstr. 16

 

 

Aus den Erinnerungen seines Sohnes Guido Morino

 

Mein Vater war fast nie krank, außer einmal in den 1950er Jahren. Ernst Hohner schickte ihn zum Chefarzt des Rottweiler Krankenhauses. Die Diagnose meiner Mutter aber war: Heimweh. Nach einem längeren Aufenthalt in Genf war er dann auch wieder völlig gesund.

Eigentlich träumte mein Vater, mit Erreichen des Pensionsalters wieder in die französische Schweiz zurückzukehren. Doch das ließ sich nicht verwirklichen. Mein

Vater nahm aber jede Gelegenheit wahr, so oft wie möglich nach Genf zu fahren, was ihm auch bis ins hohe Alter von fast 80 Jahren gelang.

Unser interessantester Besuch war Grock. Meine Eltern kannten ihn schon seit vielen Jahren, und ich durfte als kleiner Bub "Onkel Grock" zu ihm sagen fch musste ihm einen Zeichenblock bringen, und er malte mit dem Füller eine Karikatur von sich und versah sie mit einer persönlichen Widmung.

Mein Vater ging bis zu seinem Ausscheiden jeden Tag zu Fuß in die Fabrik. Mit zunehmendem Alter machte ihm eine Arthrose immer mehr zu schaffen. Einen

Vorschlag der Geschäftsleitung, ihn mit dem Dienstwagen zu fahren, lehnte er konsequent ab. Wenn er nicht mehr auf eigenen Füßen zur Arbeit gehen könne, dann wolle er lieber zu Hause bleiben. Aber da war er auch schon 80 Jahre alt.

Mein Vater starb nach einem 2. Schlaganfall am 1. Februar 1961 in Trossingen. Das Grab wurde gemäß der Trossinger Friedhofsordnung nach 25 Jahren abgeräumt.

Er war ein herzensguter Mensch, hatte einen trockenen Humor und eigentlich habe ich ihn nie missmutig oder deprimiert gesehen Er verabscheute jegliche kaufmännische Tätigkeit und hatte ein unheimlich gutes Gefühl für physikalische Zusammenhänge.